Nordrhein-Westfalen - Zu viel Wild im Wald in Nordrhein-Westfalen?

Zum Thema „Zu viel Wild im Wald? - angepasste Wildbestände in der Eifel“ veranstaltete die Regionale PEFC-Arbeitsgruppe NRW am 25. August 2021 auf dem geschichtsträchtigen Gelände Vogelsang IP im Nationalpark Eifel ein informatives Seminar für Waldbesitzer.

© PEFC Deutschland / Cornelia Pauls

Zum Thema „Zu viel Wild im Wald? - angepasste Wildbestände in der Eifel“ veranstaltete die Regionale PEFC-Arbeitsgruppe NRW am 25. August 2021 auf dem geschichtsträchtigen Gelände Vogelsang IP im Nationalpark Eifel ein informatives Seminar für Waldbesitzer.   

Einführung – Fehlen angepasster Wildbestände gefährdet PEFC-Zertifikat

Insbesondere für die Inanspruchnahme von Förderprogrammen, wie die Bundeswaldprämie oder die direkte Förderung NRW, ist die Zertifizierung der Waldbewirtschaftung eine wesentliche Fördervoraussetzung. Bei der Zertifizierung setzen viele Waldbesitzer vor allem auf die Zertifizierungsorganisation PEFC Deutschland. In NRW sind derzeit 81 % der Waldfläche nach den Richtlinien von PEFC zertifiziert. Diese PEFC-Standards beinhalten für Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer auch Vorgaben über angepasste Wildbestände bzw. bedingen die Notwendigkeit, Wald und Wild in Einklang zu bringen, vor allem mit Blick auf aktuell über 90.000 ha Schadfläche in NRW, die in den nächsten Jahren/Jahrzehnten wiederbewaldet werden muss. Aber auch rechtliche Bestimmungen, ökonomische Aspekte und Klimaschutz etc. erfordern von den Waldeigentümern, sich aktiv mit der herausfordernden Wald-Wild-Thematik auseinanderzusetzen.

Angepasste Wildbestände - zu beachtende Vorgaben

Bundesjagdgesetz - § 1 Inhalt des Jagdrechts
(2) „… Die Hege muß so durchgeführt werden, daß Beeinträchtigungen einer ordnungsgemäßen land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Nutzung, insbesondere Wildschäden, möglichst vermieden werden.“

Landesforstgesetz NRW - § 1b Ordnungsgemäßer Forstwirtschaft
„Kennzeichen ordnungsgemäßer Forstwirtschaft sind insbesondere:

2. Sicherung nachhaltiger Holzproduktion und Erhaltung der Waldökosysteme als Lebensraum einer artenreichen Pflanzen- und Tierwelt (durch Hinwirken auf gesunde, stabile und vielfältige Wälder);

10. Hinwirken auf Wilddichten, die den Waldbeständen und ihrer Verjüngung angepasst sind, sowie Maßnahmen zur Wildschadensverhütung.

Besondere Vorgaben für den Staats- und Gemeindewald siehe § 31 Landesforstgesetz NRW


PEFC-Standards

In den PEFC-Standards für nachhaltige Waldbewirtschaftung (gültig seit 01.01.2021) heißt es unter Punkt 4. „Biologische Vielfalt in Waldökosystemen“:

4.11 Angepasste Wildbestände sind Grundvoraussetzung für naturnahe Waldbewirtschaftung im Interesse der biologischen Vielfalt. Der Waldbesitzende als Eigenjagdbesitzer oder als Mitglied einer Jagdgenossenschaft wirkt im Rahmen seiner jeweiligen persönlichen und rechtlichen Möglichkeiten auf angepasste Wildbestände hin (siehe Leitfaden 6).

a) Wildbestände gelten dann als angepasst, wenn die Verjüngung der Hauptbaumarten ohne Schutzmaßnahmen möglich ist, die Verjüngung der Nebenbaumarten gegebenenfalls mit vertretbarem Aufwand gesichert werden kann und frische Schälschäden an den Hauptbaumarten nicht großflächig auftreten.

Auszug aus dem PEFC-Auditbericht vom 23.08.2021:

Wald und Wild müssen eine Einheit sein. Um die Wiederbewaldung der riesigen Kalamitätsflächen mit artenreichen Mischwäldern durchführen zu können, müssen die Wildbestände angepasst sein. Leider ist das in einigen Regionen in Nordrhein- Westfalen nicht gegeben. Es wurden im Bereich des Indikator 4.11 sechzehn Verbesserungspotentiale und eine Abweichung vergeben. Bei der Abweichung wurden keinerlei Hinweise auf ein angemessenes Hinwirken auf angepasste Wildbestände festgestellt. Das Hinwirken auf angepasste Wildbestände sollte aber nicht nur die Erhöhung der Abschüsse forcieren, sondern auch Wildruhezonen schaffen, die Besucherlenkung, die Planung und Anlage von Äsungsflächen etc. beinhalten, um den Lebensraum des Wildes zu optimieren.

Ohne Jagd geht es nicht!

Für Dietrich Graf Nesselrode, Vorsitzender der Regionalen PEFC-Arbeitsgruppe NRW, steht fest: „Wenn wir neue Wälder hochbekommen wollen, dann brauchen wir die Jagd“. Jagd sei wichtig, damit Verjüngungsmaßnahmen erfolgreich sein können, die Entmischung von Kulturen verhindert wird und nicht zuletzt die enormen Investitionen von Pflanzmaßnahmen gesichert werden.

Zu viel Wild im Wald!

Walter Schmitz, bis 2020 Referatsleiter Jagd beim Umweltministerium NRW, zeigte in seinem Vortrag anhand der Streckenentwicklung in NRW für den Zeitraum 1951/52 bis 2020/2021 bei allen Schalenwildarten beachtliche Anstiege, die auf erhöhte Wildbestände hinweisen. Weiterhin informierte er über rechtliche Möglichkeiten und Anpassungen des Landesjagdgesetzes NRW die helfen sollen, angepasste Wildbestände zu erreichen. Hier führte er u.a. die Anpassung der Jagdzeiten bei Schalenwild, die Verankerung der Durchführung von Verbissgutachten, Rehwildbejagung ohne Abschussplan und die Herabsetzung der Pachtdauer von 9 auf 5 Jahre auf.

Schmitz wies darauf hin, dass das Umweltministerium NRW auch einen Musterpachtvertrag für Waldreviere erstellt hat, in dem relevante Punkte aufgeführt sind, die in einem Pachtvertrag geregelt werden sollten. Abschließend informierte er über die Durchsetzung von Wildschadensansprüchen. Wildschäden im Wald sind bis zum 1. Mai oder zum 1. Oktober für das zurückliegende Halbjahr bei der zuständigen Gemeinde anzumelden. Für die Anmeldung von Wildschäden können Waldeigentümerinnen und Waldeigentümer, die vom Umweltministerium NRW bereitgestellte Vorlage nutzen. Leitgedanke von Herrn Schmitz: „Man muss sich zusammensetzen – Jäger und Flächeneigentümer!“  

Möglichkeiten von Waldbesitzern in Jagdgenossenschaften

Auch Markus Wolff, Leiter der Technischen Betriebe Remscheid inklusive des Stadtforstamtes Remscheid, verdeutlichte zu Beginn seines Vortags anhand der Streckenentwicklungen und einer Statistik der Versicherer über Unfallwild die Zunahme der Wildbestände. Aus der Sicht des Referenten sollten Waldbesitzende in einer Jagdgenossenschaft u.a.:

  • Eigentümerverantwortung wahrnehmen,
  • Informieren, Problembewusstsein entwickeln,
  • Austausch mit anderen Waldbesitzern suchen, Allianzen bilden,
  • Weisergatter anlegen,
  • Waldbauliche Ziele definieren, Fördermittelverantwortung regeln,
  • Mehrheiten in Jagdgenossenschaften herstellen.
  • Insbesondere ging er auf relevante Punkte in Jagdpachtverträgen ein. 

Kritisch sei für ihn zudem, dass im Waldbaukonzept NRW viele Baumarten empfohlen würden, für die es im Landesjagdgesetz NRW keine Entschädigung gibt bzw. für die kein Wildschaden angemeldet werden könne. Auch die Abräumung abgestorbener Kalamitätsflächen sieht er kritisch, da diese schlecht für das Bodenklima und für die kommende Wiederbewaldung sei. Auf den Waldflächen der Stadt Remscheid blieben daher die Dürrständer stehen.

Nationalpark Eifel

Über die besondere Situation und das Wildtiermanagement im Nationalpark Eifel referierte Florian Krumpen, Leiter des Fachgebiets Biotop- und Wildtiermanagement. Zudem stellte er die Beratungsstelle für Wildschadensminimierung und ASP-Prävention in der Nationalparkregion Eifel vor.

Weißtannenprojekt im Hürtgenwald

Franz van Elsbergen, Fachgebietsleiter des landeseigenen Forstbetriebs im Regionalforstamt Rureifel-Jülicher Börde, stellte das Weißtannenprojekt im Hürtgenwald vor. Im Forstamtsbereich gebe es Weißtannen-Reliktvorkommen, allerdings verjüngte sich bisher diese ansonsten sehr verjüngungsfreudige Baumart aufgrund des intensiven Verbissdrucks ohne Schutzmaßnahmen nicht. Um die Weißtanne nach vorne zu bringen, setze das Forstamt nun auf das Absenken der Wildtierpopulationen und auf eine deutliche Ausweitung an Weißtannen-Verjüngungsfläche über Voranbau und Plätzesaat. „Der seltene Leckerbissen wird so zum täglichen Angebot.“, so van Elsbergen. Um dem Wild den Lebensraum nicht zu entziehen, werde auf Schutzmaßnahmen verzichtet, ein gewisses Maß an Wildschäden werde toleriert. Ausführlich berichtete er über die vielfältigen Jagdstrategien im Hürtgenwald.

Gemeinde Nettersheim

Über Jagdpachtverträge und Maßnahmen zur Erreichung angepasster Wildbestände in der Gemeinde Nettersheim berichtete Wolfgang Schmieder, Forstamtsleiter der Gemeinde Nettersheim. Ziel sei es, die insgesamt ca. 2.000 ha umfassenden Eigenjagdbezirke der Gemeinde selbst zu bewirtschaften. Dieses Ziel werde bis auf eine gewisse Fläche bis zum Jahr 2023 erreicht werden. Die Gemeinde setze dabei auf Regiejagd und flächenbezogene entgeltliche Jagderlaubnisscheine, die er umfassend vorstellte. Zweimal im Jahr finden Waldbegänge für die Öffentlichkeit mit den zuständigen Jägern statt, so dass sich alle Interessierten ein Bild über die Situation vor Ort machen können. Besonders warb er dafür, dass Forstleute und Waldbesitzende unbedingt an Jagdgenossenschaftsversammlungen teilnehmen, um sich sowohl mit den Waldeigentümern aber auch mit den anderen Jagdgenossinnen und Jagdgenossen über die Wald-Wild-Situation auszutauschen.

Holz machen und Jagen

Uwe Schölmerich, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft naturgemäße Waldwirtschaft, Landesgruppe NRW, fokussierte in seinem Vortrag auf Jagd und Klimawandel im naturgemäßen Wald. Den Schlüssel zur Stabilisierung von Waldbeständen im Klimawandel sieht er im „Holz machen und Jagen.“ Hinsichtlich der weiteren Behandlung von Kalamitätsflächen empfiehlt er kleine Kalamitätsflächen zu belassen, da kleine Störungen zu Vielfalt führen werden. Hingegen sollten Waldbesitzende bei größeren Störungen bzw. Schadflächen eingreifen bzw. nicht auf Naturverjüngung setzen, da es sonst zu homogenen Waldbeständen kommen werde. Hinsichtlich der zukünftig zu pflanzenden Baumarten empfiehlt er Mischungen aus mindestens 4 Baumarten, wobei auch bei den verwendeten Herkünften gemischt werden sollte. „Wir nehmen Baumarten, die sich jetzt ganz gut fühlen und nehmen noch einige andere Baumarten dazu, von denen wir denken, dass diese in 100 Jahren funktionieren werden!“. Als Beispiele für solche „anderen“ Baumarten führte er Esskastanie, Weißtanne, verschiedene Nussarten, Eiche, Waldkiefer, Schwarzkiefer auf.

Eine Diskussionsrunde der Referenten rundete die Veranstaltung ab.

Ausblick – Miteinander reden hilft!

Referenten und Veranstaltungsteilnehmer sind sich einig, die Wiederbewaldung unserer Wälder zu klimastabilen Mischwäldern schaffen Waldbesitzende und Försterinnen und Förster nur gemeinsam mit der Jägerschaft. Gespräche über die aktuelle Wald-Wild-Situation vor Ort, am besten bei einem Waldbegang, bei den aktuellen Auswertungen von Verbissgutachten/Schälschäden vorgestellt und diskutiert werden, sollten mit allen Beteiligten regelmäßig durchgeführt werden. Darauf aufbauend können dann an den ehesten einvernehmlichen jagdlichen Strategien und Maßnahmen zum Schutz der Wälder ergriffen werden. Auch mit Blick auf die häufig anzutreffenden waldromantischen Vorstellungen bei den Themen Waldbewirtschaftung und Jagd in der Bevölkerung, die von bestimmten Experten genährt werden, muss die grüne Zunft zusammenhalten und sich gemeinsam für die Verbreitung wissenschaftlich fundierter Forst- und Jagdexpertise gegenüber Politik und Öffentlichkeit einsetzen. Nur so besteht die Chance, dass politische und rechtliche Entscheidungen fachlich basiert erfolgen und auch in Zukunft die nachhaltige Bereitstellung der Nutz-, Schutz- und Erholungsfunktionen der Wälder möglich ist.

Die Vorträge sind abrufbar unter:

https://pefc.de/regionale-neuigkeiten/erstes-pefc-seminar-zu-viel-wild-im-wald-nordrhein-westfalen
(WBV, PEFC NRW)

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Martin Kempkes
Martin Kempkes
Regionalmanager Nordrhein-Westfalen